Rüde oder Hündin?

Welche grundlegenden charakterlichen Unterschiede es zwischen Rüden und Hündinnen geben kann und was die Epigenetik und Herkunft des Welpens damit zu tun hat.

Vorweg: Es gibt in der Regel keine wesentlichen Persönlichkeitsunterschiede zwischen den beiden Geschlechtern, sowohl Rüden als auch Hündinnen sind großartige Begleiter und Familienmitglieder. Der Aberglaube, dass Rüden in ihrem Auftreten bestimmter und selbstbewusster sind und Hündinnen hingegen sanfter, familienbezogener und anhänglicher seinen, hält sich jedoch hartnäckig. Dabei sind Rüden meist sensibler und verschmuster und Hündinnen oftmals sehr eigen und zickig.

​Viele Leute die sich für einen Welpen interessieren, wollen “eine süße kleine Hündin” und am Besten noch die Ruhigste aus dem Wurf. Es wird erwartet, dass der Züchter schon innerhalb der ersten Tage und Wochen erkennen kann “wie der Welpe vom Charakter her ist”. Auch muss der Welpe unbedingt “charakterlich zu seiner neuen Familie passen”.  Natürlich gibt es auch Züchter die dies schon nach der Geburt genauestens vorher sagen können und so jeder Familie den passenden Welpen perfekt zuordnen können – doch dies ist im Grunde gar nicht möglich, denn der Charakter eines Hundes formt sich erst durch die Erziehung und die Erfahrungen die er in seinem neuen Zuhause macht. Die vollständige Persönlichkeit lässt sich bei den meisten Rassen erst mit 2 Jahren feststellen (bei Hütehunden sogar erst mit 3 Jahren), wenn der Hund physisch und psychisch komplett ausgereift ist. Vorher ist er ein Rohdiamant, der nur gewisse Anlagen mitbringt, aber noch seinen richtigen Schliff verpasst bekommen muss.

Besonders interessant ist, dass die Grundpersönlichkeit der Welpen nur zu ca. 30-35% von den Eltern vererbt wird, dabei gibt es zwei Persönlichkeitstypen: den Entdeckungsfreudigen und den eher Zurückhaltenden. Ihre individuelle Persönlichkeit, unterteilt in 5 Merkmale (Aufgeschlossenheit, Selbstbewusstsein, Neugier, Umgänglichkeit, Konzentration), wird gerade mal zu 20% genetisch beeinflusst und die individuellen Verhaltensweisen der Eltern werden sogar nur mit ca. 3-5% vererbt. Die vererbten Gene tragen also nur zur ersten Säule der Bildung des Gehirns und Verhaltens bei.​

Die zweite Säule ist die Epigenetik, das biologisch gesteuerte Erbgut welches „über die Genetik hinausgeht“, zu der vor allem die vorgeburtlichen Erlebnisse gehören, also das was die Welpen schon im Mutterleib miterleben. Diese beiden Säulen bilden die untere Ebene des limbischen Systems. Das Limbische System ist eine Funktionseinheit des Gehirns, die die Verarbeitung von Emotionen und die Entstehung von Triebverhalten steuert, es entscheidet welche Verhaltensweise, bzw. Reaktion, auf ein Ereignis in der Umgebung folgt. Es ist sozusagen die psychische Grundausstattung. Deshalb ist das Wohlergehen und Verhalten der Hündin während der Trächtigkeit enorm wichtig.​

Die dritte Säule bildet die mittlere limbische Ebene und wird durch die Erfahrungen in der Welpenzeit geprägt. Auf dieser Ebene befindet sich die emotionale Konditionierung, das Belohnungslernen und die Ausbildung von positiven, wie auch negativen  Gewohnheiten.​

Die vierte und letzte Säule, deren Wirkung sich auf das obere limbische System bezieht, wird aus den allgemeinen Erfahrungen mit der Umwelt gebildet. Also der Erziehung und Sozialisierung die ein Hund im Laufe der ersten 2-3 Jahre macht.

Somit wird also deutlich, dass das Wesen eines Hundes sowohl durch genetische Disposition, als auch Umwelteinflüsse, die Aufzucht beim Züchter,  wie vor allem auch die Erziehung der Besitzer geformt wird.​

Der Charakter ist demnach nicht angeboren, sondern größtenteils beeinflussbar. Deshalb spielt die Zuchtumgebung und Aufzucht beim Züchter eine besonders wichtige Rolle, denn die Epigenetik und Frühsozialisierung, die die Persönlichkeit bereits während der Trächtigkeit im Mutterleib und in den ersten Lebenstagen nach der Geburt prägt, hat einen großen Einfluss auf die weitere Entwicklung – und auch auf die Gesundheit des Hundes, denn Stress und Nervosität wirken sich negativ auf den Herzkreislauf und Stoffwechsel aus.

Soviel dazu, jetzt wollen wir uns aber den beiden Geschlechtern widmen.​

Oft wird angenommen, dass Hündinnen kein “Alphaverhalten” zeigen würden, sondern fügsam und aufmerksam sind und sich nicht “am Kampf um die Vorherrschaft” beteiligen. Dies könnte jedoch nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein, denn in der Natur sind Hündinnen die Rudelführer, haben das Sagen und konkurrieren um die Rangfolge. Auch unter unseren heutigen Familienhunden sind Hündinnen daher noch unabhängiger, dickköpfiger und territorialer als ihre männlichen Kollegen. Zu Raufereien kommt es deshalb häufiger zwischen zwei Hündinnen, als unter Rüden, wobei sie bei Rüden meist noch glimpflich ausgehen und bei Hündinnen oftmals böse enden. Selbstverständlich kann man das nicht pauschalisieren, denn in der Regel sind die Hundehalter dafür verantwortlich wie ihre Hunde reagieren und verschlimmern die Situation durch ihr Verhalten und Eingreifen meist nur.​

Rüden hingegen sind in der Regel anhänglicher, verschmuster, aufmerksamer und freudigere Arbeiter. Sie sind sehr treue Begleiter, die Befehle nicht hinterfragen, zuverlässiger hören und weniger launisch sind. Sie sind oftmals aufgeschlossener und liebevoller im Umgang mit anderen Tieren und Menschen. Rüden “diskutieren” nicht, sondern folgen treu ihrem Leitwolf. Hündinnen dagegen wollen immer das letzte Wort haben und testen gerne die Grenzen aus, sie haben mehr Energie und sind allgemein aufgeweckter und frecherRüden sind liebesbedürftiger und allgemein wesentlich entspannter, da sie nicht das Bedürfnis haben für Ruhe und Ordnung sorgen zu müssen, so wie es bei Hündinnen der Fall ist.  ​Rüden stehen einem bis an ihr Lebensende begeistert zur Seite und wollen einen glücklich machen. Hündinnen dagegen werden mit zunehmendem Alter oft etwas reservierter, lustloser und sturer, dafür aber manchmal auch verschmuster.​

Im Bezug auf das Markieren kann man keine großen Unterschiede verzeichnen, denn auch Hündinnen neigen dazu ihr “Beinchen zu heben” und ihren Duft zu hinterlassen, vor allem dann wenn sie läufig werden und läufig sind. Aber das Verlangen zu markieren ist bei beiden Geschlechtern eine Angewohnheit, die man sowohl bei Rüden, als auch Hündinnen größtenteils durch Erziehung beeinflussen und kontrollieren kann.​

Stichwort Läufigkeit: Es gibt Rüden die bei bestimmten Hündinnen großen Liebeskummer haben und dann gerne mal auf Durchzug stellen oder nichts fressen wollen. Für eine Hündin kann diese Zeit aber ebenso unangenehm sein, die Hormone spielen verrückt und verleiten sie unter Anderem auch mal dazu sich während der sogenannten Standhitze auf die Suche nach einem paarungsbereiten Rüden zu machen. Genauso kann es aber auch passieren, dass ihr Rüde plötzlich sabbernd im Nachbarsgarten steht, weil er eine heiße Hündin beglücken möchte.  Dies ist aber in beiden Fällen nicht die Regel und ebenfalls von der Erziehung abhängig. Zudem kann man den Hunden während dieser Phase auch homöopathische Mittel zur Unterstützung geben.​

Ebenfalls interessant ist es, wie die Lage im Mutterleib sich auf das spätere Verhalten einer Hündin auswirkt, denn ihre Zellen sind genauso empfänglich für Testosteron, wie die eines Rüdens, nur dass es bei Hündinnen keine optischen Auswirkungen hat, sondern nur die Wesensentwicklung beeinflusst. Es spielt also auch eine Rolle, ob im Mutterleib Brüder oder Schwestern neben einer Hündin liegen.

Fazit: Wenn Sie Ihren Hund von Anfang an mit liebevoller Konsequenz erziehen, sollte die Wahl ob Rüde oder Hündin keine Bedeutung bei der Entscheidung haben, denn ein Mini American Shepherd ist immer eine einzigartige Bereicherung.​

Außerdem gibt es keine wissenschaftlichen Untersuchungen die belegen, dass beispielsweise Ängstlichkeit nur an Hündinnen und Aggressivität nur an Rüden vererbt wird 😉




Herzlichen Dank an © 2017-2021 Julia Bettendorf „Lost River” Miniature American Shepherds für diesen tollen Artikel